Wenn dich der Jakobsweg nie mehr loslässt
und in dir die Pilgerseele geweckt wird
Wer mich kennt und mir folgt, weiß, dass ich im August 2019 auf dem spanischen Jakobsweg heiter gescheitert war und dass wir beide, der Camino und ich, noch eine Rechnung offen haben.
Seither ist vieles passiert, der Camino, mein Unfall im Januar 2020 und die C…Zeit haben mich sehr verändert. Doch die Faszination, die Magie des Jakobsweges haben mich nicht mehr losgelassen. Als ich im Januar 2020 meinen 50. Geburtstag unter Schmerzen und vielen Schmerzmittel im Krankenhaus und abends dann in meinem eigenen Bett feiern durfte, wobei du dir denken kannst, dass da nichts mit feiern war, gab mir der Gedanke an den Jakobsweg als Ziel emotionalen Halt.
Dies erzählte ich meinen zwei, zu der Zeit, besten Freundinnen. Meine Tränen liefen mir über die Wangen, als mir die beiden an diesem Abend über den Mund gefahren waren und mir den Traum ausreden wollten. Wozu ich immer Ziele bräuchte, wem ich etwas beweisen müsse, ob ich nicht einfach mal zuhause bleiben könne, vor was ich immer wegrennen müsste usw.
Ich schluckte meine Enttäuschung runter, ich hätte an diesem Tag keine Kraft gehabt, „mich zu wehren“, oder es ihnen zu erklären, wobei sie mich bei jedem Anflug einer Erklärung, dass es mir mental im Moment Stärke, Hoffnung und Zuversicht gibt, im Keim erstickten und zu zweit auf mich einredeten. Ich schwieg und wenn ich nicht schon gelegen wäre, dann hätte mich diese verbale Attacke bestimmt umgehauen.
Als ich es ein paar Tage später zur Sprache brachte, meinten sie, wir meinen es doch nur gut mit dir. Etwas gut zu meinen und jemand, der geschwächt ist, mundtot zu machen sind für mich immer noch zwei Paar Schuhe. Es ist auch immer die Art und Weise, wie etwas rübergebracht wird. Was sie vielleicht meinten war, komm doch erst einmal wieder auf die Beine und dann siehst du weiter. Doch was sie sagten und wie sie es sagten war etwas völlig anderes, wenn du verstehst, was ich meine.
Wupp, da stand ich da, erleichtert, dass mir endlich jemand Glauben schenkte und mich ernst nahm, wütend, dass ich trotzdem keine Hilfe oder Reha bekam. Jeden Neurologen, den ich anrief, bedauerte mich zwar, aber einen Termin bekam ich im März 2020 frühestens Ende August oder besser im September. Das muss man sich mal vorstellen. Meine Schulter begann immer noch mehr zu schmerzen und zu versteifen. Einen Rucksack zu tragen, wäre undenkbar gewesen, geschweige dennoch den Arm zu benutzen. Auch das sind Long-Corvid-Schäden, von denen niemand spricht, für mich war das eine unterlassene Hilfeleistung.
Ich heulte ein paar Tage und suhlte mich in meiner Opferrolle, doch aufgeben ist für mich keine Option. Wenn niemand da ist, um mir zu helfen, dann muss ich das selbst in die Hand nehmen. Da es mein rechter Arm und Hand war, wuppte ich mein Leben ab jetzt halt mit links.
Ich war monatelang zugedröhnt mit Antibiotika, Schmerzmittel und Opiaten. Ich lag wie benebelt nur noch rum und versuchte den Arm zumindest so zu legen, dass er nicht schmerzte. Doch ist wollte wieder leben, trotz Arm, trotz Lockdown…. Ich wollte weg von dem Schmerz und den Betäubungsmitteln. Netflix und Amazon Prime hatte ich schon leergeschaut, bzw. gehört. Ich war zu benebelt, mir die Filme anzusehen, ich kann dir heute nicht mal mehr sagen, welche Serien ich geschaut hatte. Ich wusste, so kann es nicht weiter gehen und durch al den Dunst und Nebel in meinem Kopf, drang ein einziger Satz, der mein Gamechanger war:
Ich bin nicht meine Krankenakte!
Genau so ist es, ich bin nicht meine Krankheit und meine Krankenakte. Nur weil ein Arzt zu mir sagt, dass ich den Arm nie wieder wie früher bewegen kann, muss ich ihm noch lange nicht den Glauben schenken. Es mag vielleicht seine Wahrheit sein, aber nicht die meinige. Ab da ließ ich tagsüber die Opiate weg, um wieder klarer denken zu können. Dann stellte ich mir selbst all die Fragen, die ich sonst meinen Coaching-Klienten stellen würde. Vor allem suchte ich bei Dr. Google nach Hilfen und Lösungen, wie ich mich, meinen Arm und mein Leben wieder in den Griff bekommen kann. Mit vielen kleinen einfachen Übungen lernte ich zwar unter Schmerzen, aber immerhin meinen Arm und die Hand wieder zu bewegen. Stück für Stück.
Der entscheidende Tipp, was ich gegen die Nervenschmerzen tun kann, kam von meiner Hypnose-Ausbilderin und Heilpraktikerin. Danach ging es bergauf mit mir. Doch das ganze hinterließ Spuren, damit meine ich nicht nur die Narbe an meinem Arm. Ich meine mein komplettes Körpersystem war durch die monatelange Medikamenteneinnahme völlig desolat. Statt der Ursache auf den Grund zu gehen, gab es von den Ärzten nur weitere Schmerzmittel, die die Symptome stilllegten.
Ich nahm zu meinen 10 Kilo Übergewicht weiter 10 zu. Frau gönnt sich ja sonst nichts und ich bekam statt Blumen von meinen Besuchern immer 5er-Pack Toffifee geschenkt und die mussten ja auch weg. Hilft ja nichts, sonst werden die alt, wobei, nicht bei mir.
Im Januar bekam ich einen weiteren wertvollen Hinweis, was ich für meinen desolaten Magen-Darm-Trakt tun kann. Seither sind mehr als 15 Kilos verschwunden, ich mache täglich mind. 30 Min. Sport oder Bewegung an der frischen Luft. Laufe regelmäßig längere Strecken im Wald und bereite mich nicht nur mental auf meinen Camino vor.
Ich trainiere sogar mit meinem vollen Rucksack und mache Tagestouren, voll bepackt. Ob ich bei mir hinter dem Haus starte und direkt an der Bergstraße Richtung Odenwald gehe, oder in der Pfalz mich auf mehreren Wegen bewege, überall sehe und gehe ich auf einem Stück des Jakobsweges.
Meine Ausrüstung ist auch schon komplett. Du weißt, dass dein Pilgerherz schlägt, wenn du beim Einkaufen sofort schaust, was das T-Shirt, die Schuhe, die Hose, das Shampoo wiegt.
Ja, es wird einen zweiten Band geben und du liest gerade ein paar Zeilen aus dem Buch: Buen Camino – mit dem Rucksack statt Nagellack auf dem Jakobsweg (im Moment noch Band 2, vielleicht fällt mir oder dir noch was Gescheites ein 😉